17 December 2012

Das Urteil - Teil 4

Teil 4 der mündlichen Urteilsverkündung

Richter: Nun zur wirtschaftlichen und politischen Lage in Somalia. Es ist zwingend erforderlich, unsere Bewertung  auch auf die wirtschaftliche und politische Lage zu erstrecken. Allerdings waren die Versuche des Gerichts, dies in einem frühen Stadium unter Einbeziehung von Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu tun, sagen wir mal: nicht zielführend. Obwohl insbesondere von Seiten der Verteidigung immer wieder darauf hingewiesen wurde, war es nicht erfolgreich. Wir haben dann die Sachverständigen Dr. Matthies und Dr. Hansen ausfindig gemacht und hier gehört. Das war aus unserer Sicht dann ausreichend, um hier eine Einschätzung vornehmen zu können.
Dass nicht jeder nachfühlen kann, wie die Lage in Somalia ist, mag sein. Fest steht, dass 2009 und 2010 Somalia davon geprägt war und noch ist, dass über 20 Jahre Bürgerkrieg das Land verwüstet haben, die Strukturen verfallen sind und der Lebensalltag in Somalia von Gewalt und Not geprägt ist. Somalia gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Es gibt infolgedessen eine große Zahl an Opfern und Flüchtlingen.

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 In Somaliland ist die Situation noch am ehesten stabil. Dies gilt aber nicht für den Rest des Landes und einen Teil von Puntland. Die gesellschaftliche Situation ist geprägt durch die Aneignung fremder Güter, von den Sachverständigen wurde dies „Kriegsökonomie“ genannt, durch erpresserischen Menschenhandel, Zweckentfremdung, Wegezölle und Korruption.

Seit 2008 ist Kriegsökonomie an der Tagesordnung. Der Aktionsradius der Piraten hat sich weit ausgedehnt bis Madagaskar. In 2010 hat es ungefähr 220 Angriffe gegeben, über 1.000 Seeleute gerieten als Geiseln in Gefangenschaft, erpresste Lösesummen betrugen 5 Millionen US-Dollar pro Schiff. Die Sachverständigen konnten Auskünfte zu den Ursachen der Piraterie geben. Da sind einmal der staatliche Zerfall Somalias in den 90er Jahren, die Raubfischerei und die Verklappung von Giftmüll. Das mag so sein für die Anfangszeit, was die Sachverständigen auch betont haben, dass gerade vor diesem Hintergrund die Clans sich massiv daran beteiligt und bereichert haben. Sie haben zum Beispiel Lizenzen an ausländische Unternehmen vergeben. Deshalb kann der immer wiederkehrende Hinweis auf Überfischung und Giftmüll im Jahre 2010 nicht mehr vollständig als Begründung herhalten.



 Inzwischen haben sich laut Sachverständigen-Angaben die Fischgründe in Puntland auch wieder erholt. Es werden wieder Lizenzen vergeben. Also: Die Behauptung, arme somalische Fischer hätten hier keine andere Wahl, das ist nach unserer Auffassung nicht zutreffend. Galkayo, Eyl, Hobyo und Galagad sind Hochburgen der Piraterie. Führen wir uns doch mal vor Augen, was dazu notwendig ist. Es gibt eine Vielzahl von Dingen zu organisieren: Boote, technische Mittel, Waffen, die Rekrutierung des Angriffstrupps, darunter Personen, die mit modernen Schiffen vertraut sein müssen, irgendeiner, der die internationalen Lösegeldverhandlungen führen können muss.

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Piraterie hat die Züge internationaler Kriminalität angenommen. Es sind Geschäftsmodelle. Und das ist zu sehen vor dem Hintergrund, dass es lockt, dem allgemein verbreiteten Elend zu entkommen, und dass es Männer gibt, die bereit sind ihr Leben zu riskieren um teilzunehmen. Das ist das, was die Kammer sicher feststellen kann.